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Des Schreibens Willen - Eine Reflexion

Es kribbelt, es tropft und zieht lange Linien hinter sich. Ein Stift und eine Hand: ein Autor bei der Arbeit?

Oder vielleicht doch nur ein junger Herr, der seine innere Welt auf ein Stück Papier abbildet? Wer weiss, manchmal kribbelt man die Worte auch auf Anweisung, wie zum Beispiel, wenn der liebe Herr Lehrer wieder einmal Hausaufgaben aufbrummt!

Wie klingt es wohl auf dem Computer? Es klopft… und klopft… und klopft? Zugegeben, das Schreiben mit der Tastatur erlaubt nicht ganz so sehr für eine bildliche Beschreibung wie sein traditionelles Gegenstück, dennoch, Fakt ist: Heute werden Texte meistens mit dem Rechner hergestellt und das Digitale hat einen festen Bestandteil in unserem Leben und darf hier im Einführungsbeispiel nicht fehlen.

Das Schreiben an sich - sei es physikalisch oder digital- spielt in unserem Leben eine eher untergeordnete Rolle. Nicht weil wir es nicht zu schätzen wissen, doch mehr wegen dem Umstand, dass das Schreiben für die meisten von uns eine Routine darstellt. Daraus resultiert: ist doch nichts Besonderes!

Es ist eigentlich ganz ähnlich mit der Art und Weise wie wir unsere Umgebung wahrnehmen oder wie wir bestimmten Technologien begegnen. Das Smartphone, zum Beispiel, ist etwas Tagtägliches, obwohl, wenn man einmal darüber nachdenkt, wir nicht vor langer Zeit noch auf einer Wahlscheibe die Nummern wählen mussten, nur um jemanden anzurufen! Oder die ganze Pflanzenwelt, die um uns herumwächst: Die Tatsache bleibt bestehen, dass ohne Sie, wir keine saubere Luft zum Atmen hätten!

Erst wenn man anfängt, so glaube ich, für sich selbst zu schreiben, nimmt man langsam wahr, wie signifikant das Niederschreiben von Worten im Leben eines Menschen sein kann. Denn Schreiben an sich ist üblich im Alltag des modernen Menschen. Tausende von Schüler schreiben jeden Tag in ihre Hefter, nehmen Notizen, lösen Aufgaben. Jeden Tag aktualisieren wir unseren Facebook-Status, publizieren kurze Texte über Twitter und verfassen SMS, um mit unseren Freunden und Bekannten zu kommunizieren. Aber sitzt man einmal nieder und schreibt etwas für sich - ein Gedicht, ein Tagebucheintrag oder vielleicht sogar eine kurze Geschichte - nimmt das Geschriebene eine neue Bedeutung an und unsere Beziehung zu ihr verändert sich abrupt.

Das Schreiben ordnet die Gedanken, löst von der Last der Gefühle und bindet ein Stück von uns auf Blatt Papier.

Manchmal ist Schreiben auch wie Schach gegen sich selbst spielen. Man wirft Behauptungen auf und muss sie denn so wieder selbst beantworten, beweisen. Gedankenspiele, Fantasie-Konstrukte - es braucht jener nur ein paar Sätze. Szenarien lassen sich schreiben, mit Menschenprofilen, die man aus der Truhe der Erfahrungen zusammenstellt und dann jene miteinander konfrontieren lässt. Wie würde ein Mönch auf solch’ eine Frage reagieren? Was würde der Rocker in Situation A mit den Umgebungsvariablen B, C und F unternehmen? Über was würden sich Johann Wolfgang Goethe und Konfuzius unterhalten? Spiele, durch die man versucht, die Natur der Menschen besser zu verstehen, damit man jene im realen Leben besser nachvollziehen vermag.

Schreiben, so kann man sagen, ist nicht nur Sätze schreiben, sondern ist so manchmal leicht Philosophieren, Reflektieren und Lernen in einem. Manchmal ist es Simulieren, Testen oder Experimentieren. Schreiben ist eben nicht nur mit Tinte auf Papier drücken, sondern sein Inneres, seine Seele sich selbst offenbaren.

Das Schreiben tut Gut - oft ist es Medizin für seelische Wunden. Das Kritzeln auf dem Papier, das benetzen durch die Tinte, Akt um Akt als würde der Geist Liebkosung erfahren. Schreiben ist für Viele eine Zuflucht, ein Ort, der dem Individuum allein gehört, der der Fantasie Beginn und eine Oase der Erholung ist. Durch das Schreiben lassen wir los, legen unsere Gedanken offen und riskieren den Blick anderer. Unsere Gedanken sind intim, persönlich, liegen uns sehr nahe und um keinen Preis zu ersetzen. So ist deswegen das Schreiben so unerwartet therapeutisch, so unerwartet persönlich, da nun die Gedanken auch irgendwo anders existieren und ihre Existenz anderen Menschen zugänglich ist.

Doch ist das Schreiben nur Salbe für seelische Sorgen?
Das Schreiben erfüllt oft auch eine funktionale Rolle. Wir führen Buch über unsere Geschäftstätigkeiten, nehmen Notizen oder erstellen Verträge, die uns an bestimmte Bedingungen binden. Manchmal schreiben wir auch zu lehren, um Wissen zu teilen und andere Seelen zu bereichern. Wir kommunizieren anhand von Briefen oder E-Mails, lassen andere Menschen so in unserem Leben teilhaben.

Die Menschheit strebt seit Urzeiten danach, sich selbst, seine Werte und sein Weltbild zu kommunizieren. Auf Steintafeln, in Höhlenmalereien, in den Gängen der Pharaonengräben oder auf Holzstäbchen: Wir wollen unsere Geschichten - unsere Welt - erzählt haben. Von den Sumerern über die Ägypter, den Römern und den Osmanen: Sie alle und noch unzählige andere liessen ihre Spuren in der Geschichte. Heute wissen wir von Ihnen, weil sie damals geschrieben haben.

Mit welcher Absicht auch immer geschrieben wird, feststeht, wir verewigen in einer oder anderen Form unsere Gedanken. In gewisser Weise hinterlassen wir Spuren unseres Seins: Wie eine Flaschenpost, den Fluten der Zeit anvertraut…

Schreiben dient mehr als dem hier und jetzt. Durch Bücher, Schriften, Zeitungen und noch weitere Formen der Niederschrift wird unsere Verbindung zur Geschichte aufrechterhalten. Noch heute Lesen und Lernen wir von grossen Denkern, Wissenschaftlern, Entdeckern, Gelehrten und lassen Sie in unserem Leben teilhaben. Obwohl, wenn man darüber nachdenkt: Die meisten von Ihnen sind schon längst vergangen.

Durch das Schreiben legen wir das Fundament für ein kollektives Bewusstsein. Ein Bewusstsein, der der zukünftigen Generation ein Licht ist und sie führt.

In gewissem Sinne errichten wir Leuchttürme und richten unser Licht auf Pfade, die wir aus persönlicher Erfahrung “sicher” bezeichnen. Ein Feld aus Türmen und unzähligen Pfaden, an denen wir uns orientieren. So wandern wir nicht im Dunkeln und können sicheren Schrittes gen Zukunft schreiten. Ein Luxus, der uns durch Jahrtausende von Menschheitsgeschichte gegönnt wird. Uns obliegt nur, das Vermächtnis vorheriger Generationen schätzen zu wissen.

So ist das Schreiben also nicht wirklich Routine. Jedes Wort hat eine Bedeutung, jede Schrift übernimmt eine Rolle und ein Gedicht ist nicht mehr ein Herumalbern im Tagebuch.

Doch schreiben wir nicht um dieses kollektive Bewusstsein zu bereichern oder Ihr zu dienen, wir schreiben aus verschiedensten Gründen und sind oft an Umgebungsfaktoren gebunden, die wir nicht immer erkennen vermögen. Aber das Schreiben ist immer persönlich, sogar wenn es ein wissenschaftlicher Artikel ist. Es ist unsere Stimme, die erzählt, die begründet, die ausführt und die preisgibt, was wir denken oder empfinden.

Schreiben ist eine Begegnung. Eine Begegnung mit sich selbst, Begegnung mit dem Leser und der zukünftigen Audienz. Auch wenn man im Dunklen schreiben tut, im Kerzenlichte, umringt von Schatten und Finsternis: Alsbald man gelesen wird, geht die Sonne auf und an der Tür klopft herzlich eine Menschenseele, die uns kennenlernen will.

Man bedenke: Hätten wir nicht die Reiseberichte von Weltreisenden wie Marco Polo, Ibn Battuta oder Evliya Celebi, hätten wir nicht denselben Einblick in diese Ära - und auch das Verständnis - wie wir es heute dank ihren «Werken» haben. Wären die Schriften von Immanuel Kant oder René Descartes nicht niedergeschrieben und vervielfältigt worden, hätten wir heute ein sehr verzerrtes Wissen über den Rationalismus oder die abendländische Philosophie der Aufklärung.

Durch ihre Arbeiten, durch ihr Festhalten ihrer Gedanken und Meinungen lernen wir aus Ihren Leben und haben zugleich die Ehre, sie selbst kennen zu lernen.

Es besteht kein Zweifel: Schreiben ist eine Kunstform. Sprachen sind die Instrumente, mit denen der Schreiber seine Musik komponiert. Es ist dem Autor selbst überlassen, welche Ressourcen er oder sie hierfür einsetzt.

Doch muss man auf der Hut sein: Manchmal ist die Wahl der Sprache kritisch. Speziell wenn man etwas für ein bestimmtes Publikum schreibt, ist es angebracht, in der Sprache zu schreiben, in der die Audienz denkt und fühlt.

Darum zum Beispiel klingt ein und derselbe Satz in einer Übersetzung abstossend, obwohl es im Original Gefühle der Sympathie erweckt. Verschiedene Sprachen haben eine verschiedene Gefühlswelt in Bezug auf dieselben Wörter. Aber dies hat auch Positives an sich: Man hat auf dasselbe Subjekt einen neuen Blickwinkel.

Meistens aber zerbricht sich der Autor nicht über die Wahl der Sprache den Kopf. Dinge wie Grammatik, Wortwahl und Schreibstil beschäftigen Ihn. Es ist ein Spiel, ein Biegen und Krümmen, um den perfekten Satz zu bilden, das perfekte Wort zu wählen, damit das gesagt wird, was man meint. In diesem Spiel steckt die Freude, aber auch die Frust. Es ist eben oft eine Liebe- und Hassbeziehung mit dem Schreiben, eine Herausforderung der sprachlichen Fähigkeiten und immer ein Erweitern des Horizonts. Schreiben ist wie Sprechen eine Anwendung der Sprache und je öfter man es praktiziert, desto fachkundiger, desto exakter bei der Wortwahl wird man.

Das Schreiben ist ein Abenteuer, die je nach Person unzählige Stunden an Spass mit sich bringen kann. Man muss sich eben nur trauen. Es ist eben schon eine Tätigkeit, die entdeckt werden will und Durchhaltewillen verlangt. Ringt man sich durch das theoretische hindurch, fängt das Vergnügen an.

Es ist ein bisschen wie mit dem Operator in der Matrix-Trilogie. Nach einer Weile sieht man nicht mehr den Code, sondern die Welt, die sie darstellt.

Nun denn, wagen wir uns auf ein neues Abenteuer!

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